Es gibt viele schicke Websites von Unternehmen und Organisationen, die aber leider völlig am Ziel vorbeischießen. Oft sind sie nicht mehr als eine digitalisierte Hochglanz-Unternehmensbroschüre. Das klingt in manchen Ohren vielleicht gar nicht schlecht.
- Die Innensicht ist die falsche Perspektive für die Erstellung von Websites
- Eine kundenorientierte Website beginnt mit kundenorientierten Menüpunkten
- Don't Make Me Think
- Kundenorientierung ist der überragende Wettbewerbsvorteil
- 50 Prozent der Marketing-Arbeit besteht darin, Informationen in das Unternehmen zu tragen
- Kundenorientierung schlägt Wettbewerbsorientierung
- Marketing-Buzzwords wie Content-Marketing und holistischer Content sind nur Gedankenkrücken
- SISTRIX Experten-Video
Aber Unternehmensbroschüren sind meist die langweiligste Sache der Welt. Werbung pur, die ohne Bezahlung nicht gerne im Netz geteilt wird. Als Beispiel möchte ich hier einmal die Website von Recaro und speziell deren Hauptnavigation nennen. Das Unternehmen ist insbesondere durch seine Auto- und Kindersitze bekannt.
Interessiert man sich für deren Produkte und sucht bei Google nach Recaro, wird einem als erster Treffer die Domain http://de.recaro.com/ angeboten.
Die Hauptnavigation enthält die fünf Menüpunkte „Feel Performance“, „Geschäftsfelder“, „RECARO Group“, „Lizenzpartner“ und „Kontakt“.
Was soll ich da als Nutzer anklicken, wenn ich mich für einen neuen Autokindersitz interessiere?
Die zweite Navigationsebene bietet dann z.B. die Punkte „Sicherheit“, „Tradition“, „Qualität“, „RECARO Stream“ und „Ingenious Design“ an. Auch das hilft bei der Suche nach Autokindersitzen nicht wirklich weiter. Die zweite Navigationsebene:
Die Innensicht ist die falsche Perspektive für die Erstellung von Websites
Die Navigation bei Recaro ist die reine Innensicht des Unternehmens. Es wird die interne Organisation In Form von USPs (Alleinstellungsmerkmal von engl. unique selling proposition), strategischen Geschäftsfeldern und Partnerunternehmen aufgezählt.
Das sind aber nicht die Kategorien in denen die Nutzer denken. Als Endkonsument kommt man sich auf der Website verloren vor. Aber auch Google kann mit den Wörtern in der Navigation, welche als Linktexte starke Signale sind, wenig anfangen. Google ist immer noch eine hauptsächlich textbasierte Suchmaschine und interne Links haben eine große Bedeutung als Rankingfaktor. Sie geben im Fall der Hauptnavigation von Recaro an Google das Signal, dass die Website ein passender Treffer für „Geschäftsfelder“, „Sicherheit“ oder „Tradition“ ist. Doch Google-Nutzer, welche diese Suchanfragen stellen, haben sicherlich andere Treffer im Sinn als die Seiten eines Autositze-Herstellers. Das macht es Google schwer passende Rankings für die Website zu finden.
Entsprechend rankt die Website hauptsächlich für Keywords, die den Markennamen enthalten wie „recaro autositze“ und nicht für generische Keywords wie „autositze“ (ohne Markennamen). Wenig verwunderlich besitzt recaro.com bei Google in Deutschland daher auch nur eine bescheidene Sichtbarkeit von 0,13 Punkten. Der Sichtbarkeitsindex bewegt sich seit zwei Jahren in einem monotonen Seitwärtstrend. Die Rankings für die Marken-Keywords sind sicher und stabil. Für darüber hinausgehende Keywords kommt die Website alleine schon aufgrund der Gestaltung der Hauptnavigation nicht in Frage.
Fairerweise möchte ich erwähnen, dass es für die beiden Geschäftsfelder Auto- und Kindersitze auch noch die Websites recaro-automotive.com (0,27 Punkte Sichtbarkeit) und recaro-cs.com (0,21 Punkte Sichtbarkeit) gibt. Aber allein diese Aufteilung in mehrere Domains ist nicht unbedingt nutzerorientiert. Es besteht die große Gefahr, dass die Nutzer auf der falschen Domain landen und sich dort nicht abgeholt fühlen. Wie die folgende Grafik zeigt, erreichen Wettbewerber wie maxi-cosi.de (1,25 Punkte Sichtbarkeit) ein Vielfaches der Sichtbarkeit bei Google.
Eine kundenorientierte Website beginnt mit kundenorientierten Menüpunkten
Jens Fauldrath hat in unseren Videos zu den Google Rankingfaktoren 2017 einen ganz einfachen Test genannt, den wirklich jedes Unternehmen einmal durchführen sollte.
Wenn ich an der Hauptnavigation meine interne Organisation erkennen kann, dann ist sie immer falsch.
– Jens Fauldrath
Video: Rankingfaktor Interne Links – ab Timestamp 13:40 Minuten
Astrid Kramer schlägt zusätzlich einen Blindtest vor. Man zeigt Probanden nur die Hauptnavigation einer Website und deckt den Rest der Seite zu. Kann man dann nur anhand der Hauptnavigation sagen, um was für ein Geschäft es sich handelt oder steht da nur „Über uns“ „Home“ „Kontakt“ usw.?
Die Website von Recaro und gefühlt 90 Prozent aller Unternehmenswebsites würden bei dem Blindtest durchfallen. Was für „Digitale Unternehmen“ und SEOs eine Selbstverständlichkeit ist, fällt traditionellen Unternehmen und Organisationen offenbar sehr schwer. Sie versetzten sich nicht in die Perspektive des Nutzers, seiner Bedürfnisse, seiner Themen und seines Sprachgebrauches. Sie kommunizieren nur ihre Innensicht.
Don’t Make Me Think
Ein weiteres anschauliches Beispiel ist die Website von MTP. Kann ein Nutzer, der MTP nicht kennt, anhand der Navigation einen Eindruck gewinnen, was MTP ist, was sie anbieten und welchen Nutzen sie stiften?
Auch hier finden wir keine Nutzerorientierung, sondern die interne Perspektive mit der Darstellung der Organisation. Die Zielgruppe interessieren im ersten Schritt ganz andere Sachen. Und Google werden auch hier die falschen Signale angeboten.
MTP e.V. ist ein Marketing-Verein, der Studenten schon während des Studiums Praxiserfahrungen z.B. über Projekte, Vorträge und Seminare in Zusammenarbeit mit Unternehmen bietet. Hier hätte die heranwachsende Generation von Marketing-Managern eine gute Chance den traditionellen Unternehmen vorzumachen, wie modernes Marketing funktioniert und wie man nutzerorientierte Websites mit einer hervorragenden Usability baut. Das Leitmotiv einer intuitiven Website sollte gegenüber den Nutzern immer “Don’t Make Me Think” lauten.
Auch MTP kann mit der internen Perspektive in der Navigation bei Google nicht punkten. Die Sichtbarkeit verläuft trotzt zwischenzeitiger Anstiege in einem Trend, der nicht an die Sichtbarkeit aus dem Jahr 2008 anknüpfen kann.
Kundenorientierung ist der überragende Wettbewerbsvorteil
Es wird heute viel von Digitaler Transformation gesprochen. Leider scheint der Begriff und die meisten Diskussionen dazu ein wenig am eigentlichen Thema vorbei zu gehen. Wenn man Vorzeigeunternehmen wie Google, Amazon, Netflix, Apple, Tesla usw. nacheifern möchte, dann geht es erst einmal nicht darum unbedingt Dinge digital zu machen.
Im ersten Schritt geht es um Kunden- bzw. Nutzerorientierung. Die absolut konsequente Ausrichtung des gesamten Angebotes auf die Bedürfnisse der Kunden ist das Erfolgsgeheimnis dieser Vorzeigeunternehmen. Dass daraus dann oftmals digitale Angebote werden, ist eine logische Konsequenz in unserem digitalen Zeitalter.
50 Prozent der Marketing-Arbeit besteht darin, Informationen in das Unternehmen zu tragen
Erfolgreiche Unternehmen nutzen die digitale Welt nicht nur für die Erstellung und die Präsentation ihrer Angebote. Sie nutzen sie ebenso, um Daten über ihre Kunden zu sammeln, mit den Nutzern zu kommunizieren, sie zu verstehen und ihr Angebot anhand der gewonnenen Daten konsequent zu verbessern. Beim Marketing geht es zu 50 Prozent darum das Angebot des Unternehmens in den Markt zu tragen. Die anderen 50 Prozent bestehen darin Informationen aus dem Markt in das Unternehmen zu bringen.
Kundenorientierung schlägt Wettbewerbsorientierung
Der Begriff Marketing beinhaltet die Marktorientierung. Dazu gehört insbesondere die Kundenorientierung ebenso wie die Wettbewerbsorientierung. Die Kundenorientierung schlägt aber eindeutig die Wettbewerbsorientierung. Wer nur auf seine Wettbewerber reagiert, ist bestenfalls gleich gut.
Wer sich hingegen konsequent an der Bedürfnissen der Kunden orientiert, kann innovative Angebote entwickeln und echte Wettbewerbsvorteile aufbauen. Konsequent wird diese Strategie z. B. von Amazon umgesetzt und das Buch “Der Allesverkäufer” von Amazon-Chef Jeff Bezos ist eine echte Leseempfehlung.
Die zu starke Wettbewerbsorientierung und mangelnde Kundenorientierung sieht man fast nirgendwo so gut wie in der Hauptnavigation einer Website. Wenn jeder die Navigation bei anderen Websites abschreibt, anstatt die Bedürfnisse seiner Zielgruppe zu bedienen, entstehen austauschbare und nichts-sagende Navigationspunkte wie „Über uns“, „Produkte“, „Vorstand“, „Firmengeschichte“ und „Kontakt“.
Gefühlt am stärksten fällt dies bei Hotels auf. Kann jemand einfach erkennen, zu welchem Hotel in welcher Stadt diese Navigation gehört und was das Hotel auszeichnet? Nein? Genau.
Solche Menüs sind bei Hotels nicht die Ausnahme sondern die Regel. Wer mit solchen beliebigen Navigationen arbeitet, muss sich nicht wundern, wenn er als austauschbar wahrgenommen wird, und die Kunden ein Hotel nur nach dem günstigsten Preis wählen.
Marketing-Buzzwords wie Content-Marketing und holistischer Content sind nur Gedankenkrücken
Aktuelle Marketing-Buzzwords wie Content-Marketing und holistischer Content sind nur Gedankenkrücken. Leider führen sie oft zu Missverständnissen, so dass der dahinter stehenden Kern der Nutzerorientierung wieder verloren geht.
Bei Websites beginnt die Nutzerorientierung mit der Gestaltung der Hauptnavigation. Sie geht selbstverständlich weit darüber hinaus und erstreckt sich über das gesamte Angebot. Die meisten Unternehmen scheitern aber schon an dieser ersten Klippe, der Hauptnavigation ihrer Website.