Hanns Kronenberg
Head of Marketing, SISTRIX
Was man als SEO mit viel Erfahrung lernen muss ist, dass es natürlich auch ganz unterschiedliche Marktsituationen gibt. Situationen in denen die Webseite ist und Märkte in denen es viele hart umkämpfte Keywords gibt. Oder man ist viel im Long-Tail Bereich unterwegs, wo man wenig Wettbewerb hat. Das ist natürlich auch in verschiedenen Branchen unterschiedlich. Kreditkarten-Keywords sind da vielleicht mehr umkämpft als irgendwelche B2B-Keywords für Drahtformteile.
Was sind für euch wichtige Situationen, Unterschiede und was kann das für einen Einfluss auf die Rankingfaktoren haben?
Raphael Raue
Head of SEO & Analytics, Spiegel Online
Ich würde sagen, das Marktumfeld zu kennen ist eigentlich die Grundlage jeder Suchmaschinenoptimierung. Wenn man nicht weiß, warum man eigentlich Suchmaschinenoptimierung macht, dann weiß man auch nicht wirklich was man da macht.
Wir bei Spiegel Online sind Reichweiten-finanziert, das heißt wir verkaufen Werbung. Das heißt wir brauchen so viel Traffic wie möglich. Nicht in jedem Bereich, aber dennoch bleibt es bei “so viel wie möglich”. Wenn ich aber ein ganz spezielles Kundensegment habe, dann will ich nicht viel Traffic, der kostet mich im Grunde genommen eigentlich nur Geld, sondern ich will die, die auch wirklich hinterher eine Conversion machen.
Das heißt, ich muss meinen Markt, mein Umfeld, an der Stelle nicht nur kennen, was die Suchintention angeht, sondern wer sind die Player? Mit wem konkurriere ich? Ich konkurriere als kleine Seite selten mit dem Spiegel. In manchen Bereichen aber ganz sicher und da haben wir dann auch als spiegel.de-Domain keine Chance, schlicht und ergreifend weil wir gar nicht das Bedürfnis an der Stelle erfüllen. Und dementsprechend muss ich mir, wie in jedem Umfeld, erstmal überlegen “was sind meine KPIs”. Und daraufhin optimiere ich dann auch. Und ich muss mir auch überlegen, wie komm ich dahin?
Und dafür gibt es immer verschiedene Wege. Es gibt nicht nur das Keyword “Kredit” oder “Nachrichten” oder “Angela Merkel”, sondern es gibt ganz viel drumherum. Und eventuell fang ich erstmal in der Nische an und arbeite mich dann hoch. Oder aber ich habe eben schon so eine Power und sehe, “meine Konkurrenten kann ich auch direkt angreifen”, dann geh ich eventuell auch auf das größte Keyword. Da wo ich hin will.
Es gibt immer verschiedene Wege und ich muss mich einschätzen, relativ zu den Marktteilnehmern, aber auch zu dem, was Google da macht. Also wir reden ja bei relativen Marktumfeldern nicht nur darüber, wer wirtschaftlich mitspielt, sondern auch wie Google selbst das Thema interpretiert. Machen sie da selbst viel? Eventuell muss ich jetzt nicht mehr unbedingt die nächste Suchmaschine für Flüge starten. Google macht das ganz gut und die Marktteilnehmer auch ganz gut. Wenn ich mich dem Thema nähern will, dann muss ich kreativ sein.
Und SEO ist eben auch – es ist ein bisschen ausgelutscht – “out of the box”-Denken. Ich muss manchmal andere Wege gehen und komme dann besser zum Ziel. Das ist glaube ich der wichtigste Faktor.
Jens Fauldrath
Geschäftsführender Gesellschafter, get:traction GmbH & termfrequenz PodCast
Was ich ganz gerne mache ist, es gibt so Standard Use-Cases die man so hat, wenn man was betreibt. Dann muss man sagen, “wo bin ich denn eigentlich?” Bin ich im Content-Bereich, dann bin ich News oder Ratgeber. Bin ich im e-Commerce, da dann wieder B2B oder B2C? – sind andere Regeln.
Classifieds, wo ich das Problem hab, dass meine Sachen ständig abhanden kommen. Wieder in komplett anderer Art und Weise das zu optimieren. Lead-Generierung, sowas wie Autoversicherung et cetera, die dann sehr sehr sehr spitz sind – lustigerweise hat da der Long-Tail sehr wenig Anteil am Gesamtvolumen. Bei den anderen, vorhergehenden Modellen ist eher umgedreht. Retail, was ja noch hochgradig lokal getrieben ist, und so weiter.
Man muss immer sagen, “in welchem Bereich spiele ich?” Und manchmal ändere ich es auch. Also der Klassiker, den wir haben: e-Commerceler der sagt dann, “das sind meine Konkurrenten und jetzt machen wir nen Ratgeber-Bereich auf” und da sag ich, “Da hast du ganz andere.” Weil auf einmal gehst du in ganz neue Bereiche. Gerade im Retail-Bereich werden ja gerne Ratgeber erstellt und die Kunden sagen dann, “wir gehen jetzt in Rezepte und sowas”. Dann geh zu Chefkoch und guck dir an was die machen. Weil das ist die Benchmark. Wenn du die nicht gehen willst, ist das vielleicht für dich die falsche Idee, im Ratgeber. Vielleicht gibt es ja Ratgeber-Bereiche, die nicht so gut erschlossen sind.
Und das ist dann halt immer das Thema und wenn man ganz trivial reingeht, wenn man sagt, “Thema x ist für mich spannend”, geb es einfach in Google ein und gucke dir die Top 10 an. Das ist die Latte über die man drüber muss.
Sebastian Erlhofer
Gründer & Geschäftsführer, mindshape GmbH
Und diese Top 10 sind ja jetzt nicht immer nur auch erreichbar mit dem Asset, mit dem Projekt, was ich habe. Also wenn du ein transaktionales Keyword hast – was aber nicht hundertprozentig transaktional ist, sondern auch informatorisch geprägt ist – dann hast du ja vielleicht von den 10 Treffern, 5 die von Google transaktional gezeigt werden und 5 die eben eher informatorisch sind. So dass du vielleicht faktisch mit dem gewissen Angebot gar keine Chance hast in die Top 5 reinzukommen.
Also auch da muss man den Markt gar nicht, wie du sagst, von der Marktseite, von der Wettbewerbsseite her kennen. Es geht darum: wie sieht Google den Markt? Und wie haben die schon, in der Vergangenheit, darauf reagiert? Also auch die Quality Guidelines von Google, da gibt es ja auch “Your Money Your Life”-Seiten. Wo Google definitiv gesagt hat, diese Art von Themen, diese Art von Themenstrukturen – wo Menschen in dem Fall geldmäßig oder gesundheitlich betroffen sind – da achten wir viel stärker darauf.
Das heißt, da werden bestimmte Rankingfaktoren, gerade die so im Vertrauensbereich sind, noch viel stärker und anders gewichtet als jetzt in einem Bereich, wo es dann vielleicht um Meerschweinchen geht. Wo man sagt, “naja gut, das ist vielleicht jetzt nicht so lebenskritisch”.
Jens Fauldrath
Geschäftsführender Gesellschafter, get:traction GmbH & termfrequenz PodCast
Da frag mal deine kleine Tochter, wie wichtig das Meerschweinchen ist.
Florian Stelzner
Geschäftsführender Gesellschafter, Wingmen Online Marketing GmbH
Ganz wichtig ist aber letzten Endes, sich halt nicht nur an der Benchmark zu orientieren. Sondern halt immer auch seine Innensicht, oder seine aktuelle Position im Markt beurteilen zu können. Und ganz wichtig: zu beurteilen, was kann ich denn mit gegebenen Ressourcen jetzt gerade eigentlich umsetzen? Weil das ist ja eigentlich meistens das Bottleneck?
Wenn wir uns eine Seite anschauen, dann kommen am Ende 100 wunderschöne ToDo’s raus, die dann irgendwie alle noch sinnvoll nach ‘hoch’, ‘mittel’, ‘niedrig’ priorisiert sind. Die gehen dann vielleicht an die Entwickler und das für uns wichtigste To Do kommt dann mit einem Estimate von 180 Stunden zurück.
Kann man dann entweder durchdrücken, kriegt dann aber vielleicht alles andere nicht durch. Oder man macht eben das Zweite oder schaut dann lieber, dass man halt versucht, andere Dinge vorzuziehen. Weil man dann letzten Endes schneller Gas geben kann.
Jens Fauldrath
Geschäftsführender Gesellschafter, get:traction GmbH & termfrequenz PodCast
Absolut richtig. Also genau das ist halt das Thema. Weil viele sagen “Mach ‘nen Blog auf! Mach ‘nen Ratgeber auf!”. Wo man sagt, “Okay, schau dir doch mal an was da andere Leute schon machen?”. Und wenn du die Ressourcen nicht hast, das zu gehen: Wechsel das Thema. Ansonsten wirst du unglücklich.
Also das ist ganz ganz wichtig, dass man seine eigenen Ressourcen mal im Verhältnis zu dem setzt, was gerade die SERP bestimmt.
Florian Stelzner
Geschäftsführender Gesellschafter, Wingmen Online Marketing GmbH
Das ist immer so dieses Blaupause-Denken. Du musst jetzt “das” machen! Du musst jetzt diesen Rankingfaktor bearbeiten! Du musst jetzt PageSpeed auf 100 haben, unbedingt!
Nein, muss ich nicht. Ich muss mir mal anschauen, was die anderen halt machen und was ich eigentlich überhaupt gerade leisten kann und was bei mir letzten Endes funktioniert. Und zwar nicht nur um das nächste Ranking zu bekommen, sondern um den nächsten Euro zu verdienen.
Anke Probst
Senior SEO Managerin, XING AG
Also vielleicht runde ich das Ganze mal mit ein paar Beispielen aus meiner Inhouse-Welt ab. Gerade bei XING haben wir natürlich die Problematik: wir haben eine große Plattform, nämlich xing.com, Aber auf dieser Plattform völlig unterschiedliche Assets vereint.
Wir haben einmal, zum Beispiel, was wirklich im krassen Gegensatz steht, die Jobsuche. Wo wir relativ spät mit an den Markt gegangen sind und der Markt ist natürlich im Bereich “Jobs” wahnsinnig dicht. Also die ganzen Stepstones und Monsters und so weiter da draußen, bis hin zu irgendwelchen Spezial-Job-Suchmaschinen. Ist halt wahnsinnig hart umkämpft.
Auf der anderen Seite haben wir die Personensuche, wo wir viel Traffic auf Masse machen, mit über 10 Millionen User-Profilen. Also wirklich sehr Long-Tailige Suchanfragen – Namen halt – die teilweise wenig Suchvolumen haben. Und das ist ein krasser Gegensatz in sich von der SEO-Strategie her.
Da muss man auch erstmal ein Bewusstsein dafür schaffen und sagen, “die Strategie, die ich jetzt für die Personensuche entwickle, die lässt sich halt nicht 1 zu 1 auf die Jobsuche adaptieren”, weil das einfach ein völlig anderes Marktumfeld ist. Da sind Player, die sind seit 10 Jahren am Markt.
Das Thema Linkbuilding hatten wir ja auch schon. Allein wenn ich da die Masse an Backlinks vergleiche, ist klar, wenn ich da nicht selber anfange irgendwas zu tun, dann komme ich da nie ran. Das sind halt richtige Big Player. Und in der Personensuche habe ich dagegen das Problem, dass ich so breit gestreut mit anderen Seite konkurriere. Für einzelne Namen, irgendwelche Universitätsseiten, private Seiten, Blogs – ganz viel auch im Bereich Fußball, Transfermarkt und solche Seiten. Weil das halt durchaus auch gängige Namen sind, die wir abdecken.
Und so muss man natürlich jede Strategie so darauf anpassen, dass es halt läuft. Personensuche, da funktionieren auch Sachen viel einfacher, durch diesen starken Long-Tail-Fokus, die im Jobbereich überhaupt nicht mehr funktionieren, weil es so dicht ist. Und das ist ganz wichtig, dass man ein Gefühl entwickelt. Dass man die Strategie darauf anpasst, dass man den Markt wirklich sehr genau kennt. Man genau weiß, was die Wettbewerber tun.
Monitorings aufsetzen. Es reicht nicht dafür einfach nur irgendwelche Sichtbarkeitskurven, oder so generische Sachen miteinander zu vergleichen, sondern man muss da wirklich sehr sehr spitz reingehen und dann für sich definieren, “Okay, was brauche ich, um da irgendwie noch reinzukommen?”
Jens Fauldrath
Geschäftsführender Gesellschafter, get:traction GmbH & termfrequenz PodCast
Genau. Das ist da auch das wichtigste Vorgehen, dass man sagt, “Ich habe eine Theorie, dass ich mit Maßnahme x, y erreiche”. Und lege mir aber auch gleich fest, “wie kann ich das messen?” Gerade bei so einer großen Seite, dass man dann einen Teilbereich hat und sagt, “das möchte ich machen”. Kann ich das wirklich raus messen? Dann dafür ein Monitoring aufsetzen und lernen, hat das wirklich so geklappt, wie ich’s gemacht habe?
Am Anfang wird man da relativ oft daneben liegen. Aber je mehr man mit der Plattform arbeitet, desto mehr begreift man, wie die auf was reagiert und desto besser werden die Schätzungen. Wenn man da aber nicht anfängt zu messen, wird man nie lernen. Und dann wird man immer schlecht schätzen. Deswegen ist gerade das Lernen am Objekt sehr wichtig.
Das kennt man ja aus der Conversion Optimierung. Auch die sagen, “ich hab hier eine Theorie, ich messe sie durch und wenn sie nicht klappt, hab ich aber was gelernt”. Und weiß, ich brauch das bei der anderen nicht auch noch zu machen.
Anke Probst
Senior SEO Managerin, XING AG
Es gibt so Themen, da kommst du einfach mit den gängigen Empfehlungen, die wir heute auch abgegeben haben, überhaupt nicht weiter. Personensuche ist zum Beispiel sowas. Ich weiß ich soll im SEO die User Intention befriedigen, abfangen. Woher soll ich wissen, was der User will, wenn er nach einer Person sucht? Woher soll ich wissen, was ich da für einen Content zeigen soll? Was will der User?
Es gibt halt Sachen, die sind extrem schwierig. Und dann muss ich da ein bisschen mit Kreativität ran gehen und gucken, wie kann ich da vielleicht mit anderen Methoden rangehen?
Hanns Kronenberg
Head of Marketing, SISTRIX
Schönes Beispiel zum Abschluss. Danke.