Hinter Strickjacken, Jutebeuteln und Kunstdrucken steht eine ganze Online-Industrie: Die Rede ist von Marktplätzen, die Kunsthandwerker und interessierte Kunden zusammenbringen. Die führende Plattform in Deutschland DaWanda wurde nun vom amerikanischen Pendant Etsy übernommen – und irgendwie gingen dabei 20 Punkte im Sichtbarkeitsindex verloren.
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Die Zahl der Händler, die ihre Produkte auf DaWanda & Co. hauptberuflich vertreiben, ist nicht klein. Rund um Do-It-Yourself-Marktplätze haben sich Existenzen und kleine Unternehmen gebildet; DaWanda, Makerist oder Etsy sind längst nicht mehr nur Communities für Hobby-Bastler, die sich Taschengeld hinzuverdienen.
Made in Berlin: Dawanda
DaWanda ist seit 2006 der Marktplatz schlechthin für Handgemachtes und Unikate in Deutschland. Ganz im Sinne des amerikanischen Pioniers der Branche Etsy – das bereits 2004 an den Start ging –, hat sich DaWanda in den vergangenen Jahren zu einer dominierenden Größe in Europa entwickelt – genauer gesagt in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Polen.
Deutschland war zwar immer ein sogenanntes Kernland für Etsy, das New Yorker Unternehmen hat es jedoch nie geschafft, die Marktdominanz von dawanda.com in unseren Breiten anzutasten, zumindest nicht aus SEO-Sicht, aber dazu später mehr.
Das Ende von dawanda.com
Warum schließt DaWanda? Trotz ihrer Marktführerschaft blieb der finanzielle Erfolg lange aus. Erst im Februar 2018 schaffte es das Berliner Unternehmen, profitabel zu arbeiten – zum ersten Mal seit 12 Jahren. Laut Claudia Helming, Gründerin und Geschäftsführerin von DaWanda, hatte das in erster Linie mit den hohen Kosten für das Brand-Building zu tun:
«In den vergangenen Jahren haben wir DaWanda in Deutschland und in Europa großgemacht. Wir investierten dabei vor allem in die stetig steigende Bekanntheit und in den Ausbau unserer Marktführerschaft – das funktioniert nicht ohne hohe Marketing- und Personalkosten.»
Und DaWanda hat viel richtig gemacht! Umso überraschender, dass man wenige Monate später bekannt gab, den Marktplatz bis Ende August einzustellen. Die Brand, in die man in den vergangenen 12 Jahren so viel Arbeit und Geld gesteckt hat, ist jetzt Geschichte; Etsy leitet seit 31. August 2018 alle Inhalte auf die eigene Webseite, die eigene Brand, um.
Etsys Übernahme
Etsy leitet alle Inhalte um, schafft es aber nicht, die vollständige Sichtbarkeit von DaWanda zu übernehmen. So hätten sich die Sichtbarkeitswerte beider Domains im Falle eines reibungslosen Umzugs addieren müssen; schließlich funktioniert der SISTRIX Sichtbarkeitsindex wie jeder andere Indexwert auch: Wenn jemand Punkte verliert, gewinnt jemand anderes Punkte dazu.
Ein Drittel der Sichtbarkeit bleibt auf der Strecke
Durch die Integration von dawanda.com hätte sich Etsys Sichtbarkeit also auf rund 60 Punkte im Sichtbarkeitsindex erhöhen müssen. Tatsächlich bewegt sich der Marktplatz in den vergangenen Tagen bei etwa 40 Indexpunkten.
Unsere Daten zeigen für die Woche vor dem Umzug folgende Sichtbarkeitswerte beider Domains:
Etsy knüpft mit derzeit etwa 40 Punkten in Deutschland lediglich an die alte Sichtbarkeit von DaWanda an. Das ist zwar eine Verdoppelung der ursprünglichen Sichtbarkeit von Etsy, gleichzeitig aber auch ein Verlust von 20 Punkten.
Was für den deutschen Markt gilt, ist ebenso in Österreich, der Schweiz und Polen zu beobachten – drei Märkte, in denen DaWanda ebenfalls vor Etsy führte. Werfen wir einen Blick auf die täglichen Daten des Sichtbarkeitsindex, die wir seit einigen Wochen auch für Österreich, die Schweiz und Polen bereitstellen.
Die vollständige Sichtbarkeit kann weder in Österreich noch in der Schweiz übertragen werden. In Polen wird scheinbar kaum Sichtbarkeit von DaWanda mitgenommen.
Ursachen
Was ist passiert? Wir sehen, dass einige Produktseiten der ehemaligen DaWanda-Webseite nun auf höhere Kategorienseiten bei Etsy geleitet werden.
Vereinfacht ausgedrückt und ungeachtet der unterschiedlichen Seiten-architekturen, kann man sich das in etwa so vorstellen:
Google wird per 301-Weiterleitung von einer konkreten Produktseite des ehemaligen DaWanda-Marktplatzes auf eine inhaltlich andere Seite geleitet, erhält aber trotzdem den Status-Code 200, «alles okay». Tatsächlich hat der gefundene Inhalt aber nichts mit dem ursprünglichen zu tun.
Ein konkretes Beispiel: Wir haben verschiedene DaWanda-URLs nach Rankings und Traffic sortiert und einmal näher hingesehen.
Für das generische Keyword «Schlüsselanhänger» rankte die URL
de.dawanda.com/schluesselanhaenger
stets zuverlässig auf den ersten zehn Plätzen der Google-SERPs (blauer Graph in unten stehender Grafik).
Etsy (roter Graph) schaffte es hingegen nie in die Top 10 und in der Mehrheit des vergangenen Jahres nicht einmal in die Top 100!
Diese ehemalige Schlüsselanhänger-URL wird aktuell umgeleitet auf:
etsy.com/de/c/bags-and-purses/handbags.
Handbags! Aus Google und Nutzersicht liegen hier zwei völlig unterschiedliche Inhalte (Schlüsselanhänger & Handtaschen) vor. Möglicherweise behandelt Google solche Weiterleitungen auf andere Inhalte als dem ursprünglichen als Soft 404. Im Übrigen kein Einzelfall:
Rund 5.000 Do-It-Yourself-Anleitungen und Tutorials hat DaWanda seinen Nutzern geboten. In der Vorwoche der Integration sehen wir in der folgenden Tabelle einige Google-Top-10-Rankings für DaWandas Ratgeberverzeichnis /do-it-yourself.
Die Suchanfragen haben eindeutige Suchintentionen; der Suchende will etwas wissen (Know) oder tun (Do) und DaWanda bot dafür Ratgeber und Anleitungen.
Viele dieser DIY-Seiten werden jetzt auf Shop-Oberkategorie- oder Produktunterseiten weitergeleitet. Damit entsprechen sie weniger den ursprünglich informationalen Suchintentionen «Know» oder «Do», sondern viel mehr einer Kaufintention. Aber sieh am besten selbst:
de.dawanda.com/do-it-yourself/armband-selber-machen/
Diese Soft 404s können das Vertrauen, das Google in die Seite pflegt, schmälern und unter anderem das Crawling der neu hinzugekommenen Inhalte beeinträchtigen. Warum Google so reagiert, liegt auf der Hand: Wie immer, steht auch hier der Nutzer und seine Erwartungshaltung im Vordergrund und wer nach Schlüsselanhängern sucht, will keine Handtaschen sehen!
Händler-Community
Der angeschlossenen Verkäufer-Community wurde empfohlen, ihren Shop auf Etsy umzuziehen. Eigens hierfür gab es ein Import-Tool, das die Händler nutzen konnten, doch die sehen die Vereinbarung zwischen DaWanda und Etsy skeptisch.
In der Breite beklagen Händler, die auf und mit DaWanda gewachsen sind, einen deutlich höheren Wettbewerb bei Etsy. Sie fürchten um Sichtbarkeit, Besucherzahlen und Umsätze. Waren auf DaWanda rund 70.000 Verkäufer angemeldet, wartet Etsy mit rund 1,8 Millionen Mitbewerbern auf. Fairerweise muss man dem entgegenhalten, dass sich der potentielle Kundenkreis mit rund 30 Millionen angemeldeten Nutzern (Stand 2017, Quelle: Etsy Investor Presentation) ebenfalls drastisch erhöht (verfünfzehnfacht) hat.
Hinzu kommt, dass auf Suchanfragen aus Deutschland auch vorrangig Artikel deutscher Shops ausgespielt werden. Etsy hat einen für Händler hilfreichen Beitrag verfasst, wie die Suche auf Etsy funktioniert.
Einige Shopbetreiber haben ihren bereits auf Etsy umgezogenen Shop wieder abgemeldet.
Die Frage, ob Shops mit dem Umzug auf Etsy Einbüßen in Besucherzahlen und Verkäufen verbuchen, können wir natürlich nicht in der gebotenen Sorgfalt beantworten.
Was wir – und jeder Shopbetreiber – aber können, ist eine einfache, aber umso wichtigere Kennzahl zu überprüfen, die es uns erlaubt, eine Hypothese aufzustellen.
SEO wichtiger denn je
Einer der wichtigsten SEO-Kennzahlen für jede Webseite ist die Ranking-Verteilung. Sie sagt dir, wie viele deiner Inhalte auf der ersten Google-Ergebnisseite landen. Das ist wichtig, weil 99,1 % aller Klicks auf die Positionen 1 – 10 entfallen.
Vergleichen wir nun die Ranking-Verteilungen beider Marktplatz-Domains, wird schnell deutlich: DaWanda rankte mit sehr vielen Inhalten auf Seite 1 bei Google, Etsy nicht.
Uns interessiert in beiden Fällen der rote Graph. Er zeigt die Anzahl der Rankings auf Seite 1 in den Google-Suchergebnissen für die gesamte Domain.
Während DaWanda vor der Integration die 20-Prozentmarke deutlich und regelmäßg übersteigt…
…rankte Etsy vor dem Umzug mit nur wenigen Inhalten organisch auf Seite 1, nämlich mit fünf bis sieben Prozent in den vergangenen 12 Monaten in Deutschland. Für die aktuelle Woche sehen wir zwar eine Steigerung, jedoch bleibt hier mit rund 15 % jede Menge Potential auf der Strecke.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Shops auf Etsy weniger Besucher aus der organischen Google-Suche erhalten, ganz einfach weil etsy.com weniger organische Klicks als DaWanda generieren kann, besteht durchaus.
Wer sich auf einer Plattform zum Vertrieb seiner Produkte anmeldet, dessen Erfolg ist nicht zuletzt von der SEO-Performance der Plattform selbst abhängig. Shopbetreiber, die neben Etsy & Co. einen eigenen Online-Shop betreiben sind hingegen weniger von der «Trafficbeschaffung» eines Dritten abhängig.
Organischer Traffic ist und bleibt der wertvollste Traffic, da suchende Nutzer Nutzer sind, deren Bedürfnis nicht erst noch geweckt werden muss! DaWanda hat in den vergangenen Jahren viel Arbeit in die Brand und die organische Sichtbarkeit gesteckt, umso bedauerlicher, dass die Sichtbarkeit – auch im Sinne der angeschlossenen Händler-Community – nicht vollständig übertragen werden konnte.