Google zeigt Informationen des Gesundheitsministeriums in einer Sonderintegration über den organischen Treffern an. Das Landgericht München sieht darin einen Kartellverstoß und untersagt das Vorgehen. Mehr zu den Hintergründen.
Hast du nur wenig Zeit mitgebracht? Dann direkt eine kurze Zusammenfassung in drei Stichpunkten:
- Das Gesundheitsministerium und Google haben vereinbart, Inhalte des staatlichen Gesundheitsportals gesund.bund.de für relevante Suchen oberhalb der organischen Suchergebnisse anzuzeigen.
- Unsere Datenanalyse auf Basis einer Millionen Keywords zeigt, dass diese Kooperation 2.184 unterschiedliche Keywords mit einem Gesamtsuchvolumen von gut 24 Millionen monatlichen Suchen umfasste.
- Das Landgericht München hat diese Kooperation nun untersagt. Diese Entscheidung war richtig und wichtig, da sie einen Präzedenzfall für die staatliche Manipulation von Suchergebnissen verhindert hat.
Hört sich spannend an? Dann folgt jetzt der komplette Artikel mit allen Daten, Details und Hintergründen:
Vor rund vier Jahren geplant und im letzten Jahr dann auch online gegangen: unter gesund.bund.de bietet das Bundesgesundheitsministeriums das “nationale Gesundheitsportal” an. Es wurden 4,5 Millionen Euro für 4 Jahre eingeplant.
Unabhängig, werbefrei und objektiv richtig sollen dort Informationen zu rund 200 häufigen Krankheiten und weitere, gesundheitsrelevante Informationen bereitgestellt werden. Auch in der organischen Google-Sichtbarkeit zeigen sich erste Erfolge:
Für sich genommen ist ein Sichtbarkeitsindex von rund 2,5 Punkten und die Entwicklung in den letzten Monaten positiv.
Richtig einordnen lässt sich die eigene Entwicklung allerdings erst, wenn man sie mit relevanten Wettbewerbern vergleicht. Und das sieht für die beiden großen Gesundheitsportale netdoktor.de und apotheken-umschau.de so aus:
Man sieht: kaum einen Ausschlag beim nationalen Gesundheitsportal. Die beiden privaten Wettbewerber ranken für deutlich mehr Keywords auch noch deutlich besser als es das Angebot des Gesundheitsministeriums derzeit vermag.
Dass das nicht so sein muss, zeigt der Blick in andere Länder. Sowohl der NHS aus England als auch das NIH aus den USA verfügt in den jeweiligen Ländern über eine massive Sichtbarkeit bei Google im organischen Suchindex:
Für jeden normalen SEO bedeutet das: Ärmel hochkrempeln, Stärken der Wettbewerber analysieren, eigenes Angebot verbessern und Sichtbarkeit gewinnen. Als Bundesgesundheitsminister gibt es dafür jedoch eine Abkürzung:
Im November hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zusammen mit Philipp Justus (Vice President Google Zentral-Europa) eine Kooperation bekannt gegeben: bei der Suche nach mehr als 160 Krankheiten soll eine spezielle Knowledge-Panel-Integration oberhalb der organischen Suchergebnisse auf die Inhalte hinweisen.
In der SERP-Realität sieht das dann so aus. Hier für die Anzeige auf dem Handy mit dem Viewport eines Standard-Iphones visualisiert:
Oberhalb der organischen Suchergebnisse (Netdoktor.de rankt für das Keyword organisch auf Position 1) gibt es nun diese neue Spezial-Integration auf Basis der Kooperation. Wie an der Einblendung des Viewports schon zu vermuten ist: viel Traffic wird für Netdoktor nicht mehr übrig bleiben.
Nachgemessen: wie relevant ist die Kooperation in den Suchergebnissen?
Um die Tragweite dieser besonderen Kooperation besser einschätzen zu können, messen wir sie nicht mehr nur als “normales” Knowledge-Panel, sondern weisen diese Box in SISTRIX getrennt aus.
2.184 Keywords mit Spezial-Kooperation zwischen Google und Gesundheitsministerium
In unserem täglich aktualisierten Kewordset von einer Millionen Keywords aus Deutschland, konnten wir diese Integration gestern für 2.184 unterschiedliche Keywords finden. Es sind also deutlich mehr Suchanfragen betroffen, als die reinen, rund 160 exakten Schreibweisen der Krankheiten.
Zu diesen Keywords gehören neben den aktuellen Trendkeywords wie “corona” und “coronavirus” mit sehr viel Suchvolumen auch die folgenden Keywords (Auswahl):
Keyword | Monatliches Suchvolumen |
---|---|
hämorrhoiden | 190.269 |
blasenentzündung | 136.308 |
endometriose | 126.601 |
borreliose | 107.267 |
schilddrüsenunterfunktion | 97.717 |
bindehautentzündung | 93.983 |
bandscheibenvorfall | 93.492 |
arthrose | 92.511 |
fibromyalgie | 87.022 |
mandelentzündung | 78.823 |
lungenentzündung | 78.433 |
schizophrenie | 78.396 |
nagelpilz | 77.993 |
influenza | 74.570 |
depression | 70.356 |
copd | 68.314 |
magenschleimhautentzündung | 67.723 |
neurodermitis | 65.314 |
schuppenflechte | 60.096 |
weißer hautkrebs | 58.596 |
prostata | 57.268 |
gicht | 56.679 |
gastritis | 55.275 |
parkinson | 54.085 |
fußpilz | 53.597 |
707 der Keywords mit dieser Integration haben ein monatliches Suchvolumen von mehr als 1.000 Suchen. 164 der Keywords haben sogar ein monatliches Suchvolumen von über 10.000 Suchen.
Bei 24.386.196 monatlichen Suchen wird die Kooperation von Google und Bund angezeigt
In Summe haben alle Keywords, bei denen wir diese Integration gesehen haben, ein gemeinsames Suchvolumen von gut 24 Millionen Suchen je Monat (exakt: 24.386.196). Hier machen die Corona-Keywords aktuell aber einen großen Anteil aus.
Verboten: Gericht untersagt Bund und Google Kooperation (vorerst)
Schon kurz nach Ankündigung der Kooperation zwischen Google und Bundesgesundheitsministerium gab es Kritik. Aus der Ecke von Netdoktor zum Beispiel:
„Das Ministerium setzt sich als staatlicher Sender mit der Unterstützung des Suchmonopols von Google unabhängig von jeder inhaltlichen Qualität vor die journalistischen Angebote der freien Presse.“
Philipp Welte, Vorstand von Hubert Burda Media (zu denen Netdoktor gehört)
Vom Wort & Bild Verlag als Eigentümer der Apotheken Umschau gab es ähnliche Wortmeldungen. Sowohl Netdoktor als auch die Apotheken Umschau haben das Vorgehen jedoch nicht nur öffentlich kritisiert, sondern gehen gegen die Kooperation auch vor Gericht vor. Netdoktor in einem einstweiligen Verfügungsverfahren in München, die Apotheken Umschau in Berlin.
Das Landgericht München hat nun gestern entschieden und die Zusammenarbeit zwischen Google und dem Bundesgesundheitsministerium vorläufig untersagt (Urteil vom 10.2.2021, Akzenzeichen 37O15721/20 und 37O17520/20). Die Begründung ist lesenswert:
„Denn die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der Google-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorgehobene Position „0“ in der Infobox, steht privaten Anbietern von Gesundheitsportalen von vornherein nicht zur Verfügung. Als Betreiber eines Gesundheitsportals ist NetDoktor in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der Google-Suche eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, da rund 90% der Nutzer über eine Google-Suche bei NetDoktor landen. Diese Sichtbarkeit wird stark eingeschränkt, weil die Infoboxen die Aufmerksamkeit der Nutzer von den allgemeinen Suchergebnissen ablenken und auf sich ziehen.“
Pressemitteilung 06 vom 10.02.2021, Landgericht München I
Google hat zeitnah reagiert. Bereits heute ist die Spezial-Kooperation nicht mehr in den Suchergebnissen zu finden. Ob Google oder die Bundesrepublik Deutschland gegen diese Entscheidung vorgehen, ist noch unklar.
Interessant in diesem ganzen Komplex ist auch noch folgendes Zitat von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Hier wird deutlich, dass die Wichtigkeit eines guten Google-Rankings mittlerweile vielen bewusst ist:
„Wenn wir ein Interesse daran haben, objektive, fundierte, evidenzbasierte Informationen rüberzubringen, dann bringt es mir nichts, wenn wir bei Google an Stelle 783.000 auftauchen.“
Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister
Einschätzung: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht
Sowohl Google als auch das Gesundheitsministerium hatten bestimmt die besten Absichten, als sie diese Kooperation vereinbart haben: gerade in unsicheren Zeiten möchte das Gesundheitsministerium garantieren können, dass Suchende auf die bestmöglichen Gesundheitsinformationen zurückgreifen können.
Und auch Google ist bei den klassischen “Your Money, your Life”-Themen in einer Situation, in der sie viel mehr verlieren als gewinnen können: ob jetzt vom Algorithmus bestimmte Treffer von Netdoktor, der Apotheken Umschau oder aber die direkt über die Kooperation mit dem Bund bestimmten Inhalte “besser” sind? Oft eine Frage von Nuancen und Einschätzungen. Sicher ist aber, dass falsche Treffer verheerende Folgen haben können.
Daher ist sowohl Google als auch dem Gesundheitsministerium kein Vorwurf zu machen. Aus ihrer jeweiligen Perspektive haben sie sich für die subjektiv beste Lösung entschieden – die aber in Summe für das gesamte System trotzdem falsch ist. Umso wichtiger, dass das Landgericht München korrigierend eingreift.
Wäre hier ein Präzedenzfall geschaffen worden, kann sich jeder vorstellen, dass die nächsten Forderungen nicht lange auf sich warten lassen: jemand sucht nach ungesundem Essen? Zeigen wir ihm doch lieber staatliche Salat-Rezepte. Jemand möchte Steuern sparen? Auch dazu hat das Finanzministerium bestimmt “hilfreiche” Informationen. Einer Manipulation und Politisierung der neutralen Suchergebnisse wäre Tür und Tor geöffnet.
Zum Glück hat das Landgericht München die richtige Entscheidung getroffen. Bleibt zu hoffen, dass die Relevanz einer fairen und transparenten Reihenfolge von Suchergebnissen damit mehr Öffentlichkeit erfährt und auch künftige Manipulationsversuche (sei es durch staatliche Akteure oder auch Google selber) schnell unterbunden werden.